Erinnerungsarbeit als pädagogische Herausforderung

Um als Musikpädagogin tätig zu sein, habe ich zu viele Fähigkeiten verloren.

Eine pädagogische Aufgabe sehe ich aber darin, einen kreativen Prozess zu ermöglichen, und begleiten.

Verlorene Struktur im Gehirn kann bislang im erwachsenen Alter nicht wieder aufgebaut werden. Aber vorhandene täglich selbst aktivieren zu wollen gleicht einem kreativen Prozess, der in jedem Alter glücklich und zufrieden macht.

Sobald ich schließlich in einen Trott, in eine Gewohnheit „abdriften“, auch alte Leistungsstärke, sogar „Glücksgefühle“ zurückhaben, und vor schmerzhaften Erinnerungen davonlaufen, oder eine bestimmte Rolle innerhalb eines Systems von anderen zugewiesen bekommen, oder mich selbst hinter einer verstecken sollte, könnte ich sicherlich noch funktionieren.

Ohne Halt in mir wäre ich aber psychisch verloren, und mein geistiger wie körperlicher Verfall vermutlich nicht aufzuhalten.

Es ist deshalb Begeisterung für innere Aktivität, meine innere Neugier auf einen Geschmack, einen Geruch, auch körperliche Wahrnehmungen täglich zu aktivieren, beleben und ordnen.

Die Möglichkeit zur Kreativität, und gleichzeitig der Regeneration des Gehirns nutzen, und als pädagogische Herausforderung begleiten. Täglich fasziniert mich, dass körperliche Spannkraft, und geistige, wie emotionale Wachheit auch über einfachste Möglichkeiten wie Gehen, Schmecken, Riechen und Fühlen, als sicherlich nur allerkleinster Nenner von Kreativität, auch dem Finden eines klaren Gefühls zumindest beeinflusst werden kann, wenn ich den Zusammenhang von gleichzeitigem Geschehen im Gehirn wie körperlicher Auswirkungen achte.

Ein menschliches Gehirn wie Körper sicherlich den Aspekt seiner Funktionsfähigkeit behält, doch zusätzlich über eigenes Denken und Fühlen belebt werden kann.

Es bedeutet eine Körperspannung aufzubauen, die auch dem Gedächtnis hilft, da über diese elastische Spannkraft ein zusätzlicher sehr großer Speicherort geschaffen wird, auf den vermutlich ein Bühnenkünstler in einer Stresssituation immer noch zurückgreifen kann, da die gleichzeitige Wachheit wie Offenheit für eine unerwartete Situation das entspannende Moment ist. Jedes Festhalten an Sicherheit muss dafür im Gegenzug allerdings aufgegeben worden sein.

Mich interessiert heute in erster Linie der Aufbau dieser Körperspannung, die gleichzeitig auch Auswirkung auf meine gedankliche wie emotionale Wachheit, und Lebendigkeit hat. Deshalb doch sogar eine funktionale Auswirkung im Alltag, wie beispielsweise als Fußgängerin auf meine Aufmerksamkeit im Straßenverkehr zeigt.

Eine Leistungssteigerung, die nicht mit jungen, und gesunden Tagen vergleichbar, doch wenn sich dadurch auch noch meine Körperhaltung leicht streckt, mich doch glücklich werden lässt.

Als Arbeitswerkzeug dient mir der Alltag, aber auch eine alte Decke für Körperübungen, um ihn elastisch wie durchlässig zu halten, aber auch emotional zu stärken. Dann greife ich einen Impuls auf, wie beispielsweise ein Gedicht, eine Erinnerung an eine Figur aus einem Theaterstück, eine alte Situation, die „hängen geblieben“ ist. Auch ein momentanes Gefühl, wie einen körperlichen und gedanklichen Zustand, der mich gerade beschäftigt, oder ein Traumbild der letzten Nacht. Diesem zunächst vagem Etwas versuche ich über Bewegung Ausdruck zu geben. Beobachte, ob ich diesem Wirrwarr im Kopf wie durch eine Filteranlage etwas Klarheit durch eine Form geben kann. Manchmal stellen sich Sinneseindrücke, Klänge, Geräusche, bestimmte Lieder, auch Farben, und sonstige Erinnerungen, die zu diesem Zustand passen, ein. Jetzt wird es in meinem Kopf räumlich, und ich bin fasziniert, dass dieser Prozess grundsätzlich immer noch bei mir möglich ist. Dann beginne ich zu feilen. Kann das Gefühl auf der Ebene von Nuancen noch klarer, und im Ausdruck genauer, und feiner werden? Allein die Tatsache Vergangenheit mit Gegenwart  zu verknüpfen, und  über den Körper einzubetten, und anzunehmen gibt mir Halt, und Befriedigung. 

Je genauer und feiner ich feile, umso wacher und neugierig werde ich. Einzelne Wörter, oder ein Satz bekommt Bedeutung und berührt mich. Obwohl Jahrzehnte lang vergessen, finden Tränen ihren Weg nach draußen, und ich suche nach noch mehr “Gehirnkapazität”.Gibt es noch eine Windung, die ich bisher ungenutzt vergessen habe, aber einen zusätzlichen interessanten Aspekt offenlegt? Drehe deshalb den Satz, oder das Wort um, rolle von hinten her die Zeile auf, um sie immer näher beleuchten, und im Zusammenhang noch besser zu verstehen, und in die fragile Form möglichst viele Impulse einbinden und einbetten zu können.

Diesen Prozess erlebe ich als sehr anregend, und gleichzeitig  einen positiven Effekt auf meine Durchblutung des Gehirns, als wenn ich eine hauseigene Batterieladestation anzapfen könnte.

Zunächst habe ich eine sanfte Möglichkeit gefunden, mich schmerzhaften körperlichen Verspannungen anzunähern. Die Schmerzen nicht bekämpfe, aber über die Bewegung zunächst kennenlerne, dann wie in den Arm nehme, bis ich sie über die Bewegung in den Körper integriere. Oft stelle ich fest, dass mein tägliches Üben Wirkung zeigt, und ich tatsächlich schmerzfrei werde.

Bedeutsamer erlebe ich aber die sehr sanfte, wie psychisch gefahrlose Möglichkeit , mich einem tief in mir versteckten traumatischen Erlebnis anzunähern, als ich nach Aussage meiner Mutter als Kind meine aufrechte Körperhaltung, deshalb meine Würde verloren hatte. Alle therapeutischen Interventionen im erwachsenen Alter schreckten davor zurück, sich diesem Erlebnis, an das es nur den winzigen Fetzen einer Erinnerung gibt, anzunähern.

Immer noch ohne konkrete Erinnerung kann es auf diese sanfte Weise nicht reaktiviert, aber über den Körper integriert, und angenommen werden.

Wenn auch bereits im fortgeschrittenen Alter kann ich endlich mein glückliches Kind, das sich auch heute über jeden Lernprozess freut, wiederfinden. Dieser große und schwere Brocken aus der Vergangenheit, versperrt nicht länger den Weg, Neues entdecken zu wollen.Dem Alterungsprozess fühle ich mich trotz meiner Vorgeschichte nicht länger hilflos ausgeliefert.